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Chronisch gesund statt chronisch krank

Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute. Zu diesem Krankheiten gehören vermehrt Krebs, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Alzheimer, Diabetes, Arthrose, Rückenleiden und Burnout. Wissenswertes über unsere Zivilisationskrankheiten und wie man sie vermeiden kann, erklärt mir Dr. med. Bernhard Dickreiter in seinem Buch „CHRONISCH GESUND STATT CHRONISCH KRANK“

Martina Zöllner: In Ihrem Buch „CHRONISCH GESUND STATT CHRONISCH KRANK“ beschreiben Sie die extrazelluläre Matrix als den Nährstoffpool für unsere Zellen und als unsere innere Umwelt. Was ist damit gemeint?

Dr. med. Dickreiter: Die extrazelluläre Matrix ist ein Teil des Bindegewebes und stellt einen komplex strukturierten und vielfältigen Raum dar. Jede einzelne Zelle des menschlichen Körpers ist in die jeweilige organtypische extrazelluläre Matrix (EZM) – eingebettet. Damit ist sie der Lebensraum aller unserer Zellen, aus dem diese ihre Nähstoffe, Sauerstoff, Vitamine usw. aufnehmen und in den sie ihre Abfallstoffe abgeben.

Aus diesem Nährstoffpool beziehen alle unsere Zellen ihre lebensnotwendige Versorgung. Gleichzeitig sondern sie ihre Abfallstoffe in die Zellumgebung ab.

Diese biologischen Zusammenhänge verdeutlichen die totale Abhängigkeit jeder Zelle von ihrer Umgebung, genauso wie wir als Menschen total abhängig sind von unserer «äußeren Umwelt». Insofern kann bei der extrazellulären Matrix durchaus von der «inneren Umwelt» gesprochen werden.

Die negativen Veränderungen, die eine chronische Zivilisationskrankheit auslösen, spielen sich zunächst in diesem Raum ab und greifen dann später auf die Zellen über. Deshalb muss die Medizin die Zellen im Kontext mit ihrer Umgebung betrachten und darf die extrazelluläre Matrix, die in ihrer Gesamtheit fast ein Drittel des Körpergewichtes ausmacht, nicht länger weitgehend unberücksichtigt lassen.

 

Martina Zöllner:  Der Satz „ … der Mensch ist so alt wie seine Gefäße“ , wurde von Ihnen ergänzt in „…der Mensch ist so alt wie seine Gefäße und seine extrazelluläre Matrix“. Was ist für chronisch kranke Menschen in diesem Zusammenhang ein erfolgreiches Therapiekonzept?

Dr. med. Dickreiter: Natürlich sind unsere Blutgefäße äußerst bedeutsam. Aber nirgendwo in unserem Körper berührt eine Blutkapillare eine Zelle. Am Ende dieser Wegstrecke durch die Blutgefäße und die Kapillare kommt für die Nährstoffe und den Sauerstoff noch ein Diffusionsraum zur Zelle: die extrazelluläre Matrix. Ihre Durchgängigkeit ist somit für die Versorgung der Zellen enorm bedeutsam.

Eine mit Abfallstoffen und Toxinen angereicherte und gelartig veränderte extrazelluläre Matrix mindert und gefährdet die Zellversorgung. Aus diesen biologischen Gründen erhalten Therapieverfahren wie die Ausleitung, das Entgiften oder die Entschlackung ihre Sinnhaftigkeit. Die „Reinigung“ der extrazellulären Matrix stellt somit in der Therapie von chronischen Zivilisationskrankheiten mit die erste Maßnahme und ein wesentlicher Baustein dar. Zur „Reinigung der inneren Umwelt“ gehören z. B. ausreichend Bewegung, eine gesunde, möglichst schadstofffreie Ernährung, gesundes Wasser, der Verzicht auf Rauchen, eine Darmsanierung, Schwitzkuren, usw.

Neben diesen Maßnahmen gehört zu einem erfolgreiche Therapiekonzept für chronische Zivilisationskrankheiten noch die Behebung aller Mängel. Also z. B. den Mangel an gesunder Nahrung, an Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen, an Bewegung, an Regeneration, an sauberem Wasser, Entspannung usw.

 

Martina Zöllner:  Gibt es eine Aussicht auf Heilung bei chronischen Erkrankungen oder wird sich die Schulmedizin weiter der Symptombehandlungen bedienen?

Dr. med. Dickreiter: Eine Heilung bei den chronischen Zivilisationskrankheiten – die oft als nicht gegeben dargestellt wird – gibt es natürlich. Diese ist jedoch nur möglich, wenn die Krankheit und ihre zerstörerischen, degenerativen Prozesse nicht bereits zu weit fortgeschritten sind. Die möglichen Therapieerfolge bei den chronischen Zivilisationskrankheiten hängen demnach vom Schweregrad der jeweiligen Erkrankung ab. Zum Beispiel benötigt man bei einem leichten Diabetes Typ 2 in der Regel nur wenige Wochen, um den Zuckerstoffwechsel wieder zu normalisieren. Bei Frühformen der Arthrose oder Osteoporose dauert es jedoch Monate bis sich der Knorpel oder der Knochen wieder regeneriert.

Wir müssen rechtzeitig korrigierend eingreifen und dabei alle Mängel beheben, die das biologische System «Mensch» an der Regeneration bzw. an der Ausheilung behindern. Das Therapiekonzept muss selbstverständlich über Monate konsequent umgesetzt werden, denn es gilt: „Degeneration kann schnell gehen, Regeneration jedoch benötigt Zeit.“

 

Martina Zöllner:  Ist nicht jeder Mensch für seine eigene Prävention und Selbstheilung verantwortlich? Und mit welchen Maßnahmen können die von Ihnen vorgeschlagenen ganzheitlichen Therapien unterstützend mitwirken?

Dr. med. Dickreiter: Bei akuten Erkrankungen sind wir in der „Schulmedizin“ sehr gut versorgt und sollten für ihre Leistungen dankbar sein. Jeder chronisch kranke Patient sollte aber wissen, dass Medikamente allein auf Dauer für ihn keine gute Lösung darstellen. Diese können zwar lindern, Komplikationen hinauszögern und Leben verlängern, sie heilen jedoch nicht.

Sowohl in der Prävention als auch in der Therapie benötigen wir bei den chronischen Zivilisationskrankheiten eine systembiologische Vorgehensweise. Hier gibt es jedoch ohne die aktive Mitwirkung des Einzelnen keine Erfolge. Zunächst muss jeder kundig gemacht werden und dann den Prozess der Heilung mit in die eigene Hand nehmen. Dabei orientiert man sich an den biologischen Grundprinzipien des menschlichen Organismus. Diese erklären klar, was jeder Einzelne zur Erhaltung oder zur Wiedergewinnung der Gesundheit benötigt.

 

Martina Zöllner:  Warum wird diesem wichtigen Thema in der Schulmedizin nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt? So, dass mögliche gefährliche Folgeerkrankungen vermieden werden könnten?

Dr. med. Dickreiter: Diesem Thema wird zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, denn immer mehr ÄrztInnen sind sich bewusst, dass Zivilisationskrankheiten durch Medikamente nicht zu heilen sind. Die Erkenntnis, dass man bei diesen Krankheiten auf der Ebene ansetzen muss, auf der sie entstanden sind, verbreitet sich mehr und mehr. Deshalb suchen und wenden sich immer mehr KollegInnen neuen systembiologischen-ganzheitlichen Ansätzen zu. Hinzu kommt, dass sich die Erkenntnisse der Forschung über die extrazelluläre Matrix zunehmend verbreiten. Der große Durchbruch der „ganzheitlichen Medizin“, die wir vielleicht besser systembiologische Medizin nennen sollten, wird aber sicher noch einige Jahre auf sich warten lassen.

 

Martina Zöllner:  Welchen Beitrag kann jeder Einzelne leisten, um chronische Zivilisationskrankheiten frühzeitig zu erkennen oder erst gar nicht entstehen zu lassen?

Dr. med. Dickreiter: Da die chronischen Zivilisationskrankheiten durch Medikamente nicht zu heilen sind, kommt der Prävention und der frühen Therapie eine große Bedeutung zu. Der Schlüssel liegt für den Einzelnen in seiner Lebensweise und in der Übernahme von Verantwortung für seine Gesundheit. Zur Prävention und auch zur Therapie ist die Korrektur von fünf Basisrisikofaktoren entscheidend: Ungesunde Ernährung, mangelnde Bewegung, zu viel chronischer Stress, zu wenig Regeneration, übermäßige Toxinbelastung. Alle anderen immer wieder aufgeführten Risikofaktoren wie Übergewicht, hoher Blutdruck, Diabetes usw. sind sekundäre Risikofaktoren, die von den Basisrisikofaktoren auf den Weg gebracht werden. Die fünf Basisrisikofaktoren sollte jeder Einzelne kennen und beherzt in der Prävention und in der Therapie von Zivilisationskrankheiten umsetzen.

 

Martina Zöllner:  Welches Buch lesen Sie zurzeit?

Dr. med. Dickreiter: „Sieben Heringe“ von Jürgen Wiebicke.

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